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Wei­h­nacht­szeit ist Geschichten­zeit: Vom Segen der Frau Per­cht”

Wir begleiten Sie mit vier Geschichten vom österreichischen Märchenerzähler Helmut Wittmann durch die Vorweihnachtszeit und wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen!

Geschichte zum 1. Advent:

Vom Segen der Frau Percht

Eine alpenländische Sage, neu erzählt von Märchenerzähler Helmut Wittmann:

Vor langer, langer Zeit, war’s gestern oder war’s heut‘, da mühten sich zwei Bauersleute auf einem Hof hoch droben in den Bergen rechtschaffen ab. So fleißig sie aber auch waren: Grund und Boden gaben einfach nicht viel her. Trotz aller Schinderei reichte es kaum zum Überleben. Oft litten sie mit ihren Kindern Hunger und Not.

Zu allem Unglück verwüstete im Sommer auch noch ein Unwetter die Ernte. Vor Kummer und Sorgen wussten der Bauer und seine Frau nicht mehr aus und ein. Kein Wunder, dass die Bäuerin krank wurde. Jetzt lag die ganze Last auf den Schultern des Bauern. Er tat, was er konnte: Die schwere Arbeit am Hof, die Sorge um die Frau, und die Kinder wollten auch versorgt sein. Bald wusste er nicht mehr, wo ihm der Kopf stand. Wo sollte er zuerst anpacken? Er werkte einfach dahin so gut es eben ging.

Der Herbst war voller Mühen und Plagen. Schließlich zog der Winter ins Land. Mit ihm kam der Schnee. Bald war alles rundum weiß, und der Hof umso mehr abgeschieden von der Welt.

Eines Abends sagte sich der Bauer: »Ich muss hinaus. Vielleicht komme ich an der frischen Luft auf andere Gedanken.«

Die Kinder schliefen schon. Die Frau lag ruhig da – in fieberschwerer Ohnmacht. Im Moment gab es nichts, was er für sie tun konnte. Also hinaus!

Die Nacht war mondhell – und bitterkalt! Weiß glitzerte der Schnee. Er knirschte unter seinen Füßen. Der Bauer stapfte hinauf zum Waldrand. Die frische Brise und der weite Blick – das tat gut.

Nach einer Weile drehte er sich um und schaute übers Land. Wie friedlich das Tal unter ihm lag. Da und dort funkelte ein Licht. Weit hinten die mächtigen Gipfel. Herrlich! – Wenn doch nur diese furchtbare Not nicht wäre. – Ein Stück wollte er noch hinauf. Noch ein klein wenig mehr Abstand gewinnen vom Elend am Hof.

Aber – was rührte sich denn da am Waldrand? Da kauerte eine Gestalt. Als er näher stapfte, sah er: Da hockt eine alte Frau!

»Was machst denn du da, Großmutter?«, fragte der Bauer.

»Ich kann nicht mehr weiter«, schnaufte die Alte, »es ist mir einfach zu stark.«

»Aber hier kannst du nicht bleiben«, meinte der Bauer, »bei der Kälte wirst du erfrieren.«

»Es geht einfach nicht mehr. Ich bitte dich: Hilf mir!«, flehte die Alte.

»Komm, Großmutter«, redete ihr der Bauer fürsorglich zu, »vielleicht geht’s miteinander.«

Er griff ihr unter die Arme um ihr auf die Füße zu helfen. Da merkte er: Die Frau war nur Haut und Knochen. Und das Gewand! – Fetzen und Lumpen schlotterten an ihrem Körper. Nein, das war kein guter Geruch, der da aufstieg. Sie stank nach Moder und Schweiß. Schon nach ein paar Schritten im Schnee war klar: Die kann nicht mehr!

»Mir scheint, da hilft nur eines!«, sagte der Bauer kurz entschlossen, »ich nehme dich buckelkraxen!«

Ja, sie huckepack zu tragen war wohl die einzige Möglichkeit, die blieb. So lud er sich die dürre Gestalt auf den Rücken. »Ich danke dir!«, schnaufte die Alte. Mit den Worten kam ein Pesthauch aus ihrem Mund. Dem Bauern war zum Grausen. Aber in der frischen Luft war der Gestank schnell verflogen.

»Wo musst du denn hin?«, fragte er sie.

»Hoch droben im Bergwald ist meine Hütte.« – Eigenartig. Wo sollte die denn sein? – Aber wurscht! Der Bauer schleppte die Alte Schritt für Schritt den Berg hinauf. So dürr und klapprig sie auch war, im tiefen Schnee wurde selbst sie zur schweren Last. Trotz der Kälte begann er zu schwitzen. Immer wieder beugte er sich nach vor. »Ich danke dir!«, schnaufte sie, »was für ein Glück, dass du dich meiner erbarmt hast.«

Bei jedem Wort kam aus ihrem Mund der Speichel heraus und tropfte dem tief gebeugten Bauern beim Kragen hinein. Sein Grausen wurde immer größer. »Ist schon recht!«, keuchte er. Er konnte die Alte ja nicht einfach erfrieren lassen! Nein, das brachte er nicht übers Herz.

Mühsam ging‘s immer weiter hinauf durch den Winterwald. Schließlich kamen sie zu einer halb verfallenen Hütte. »Da bin ich zuhause«, meinte die Alte, »aber das Feuer im Ofen ist bestimmt ausgegangen. Ich bitte dich, heiz mir noch ein.« Nach der Schlepperei war das eine Kleinigkeit. Also lud der Bauer die Alte in der Stube ab und machte sich ans Heizen. Nicht lange und im Ofen knisterte das Feuer. Langsam verbreitete sich eine wohlige Wärme.

»Ich danke dir, Bauer«, meinte die Alte zufrieden. »Du hast mehr für mich getan, als wohl sonst ein Mensch getan hätte. Und ich weiß, wie du dran bist. Drum will ich dir etwas geben. Mach die Tür dort auf! Dahinter findest du, was du brauchst.«

»Na, was wird da schon zu finden sein!«, sagte sich der Bauer. Aber die Alte meinte es offenbar gut. »Dann mache ich ihr halt die Freude und schaue nach, was sie für mich hat.«

Neugierig öffnete er die Tür im Winkel.

Und was kam da zum Vorschein? – Der Bauer traute seinen Augen nicht! – Ein prächtiger Garten war da. Darin blühten Blumen in allen Farben. Das Gras auf der Wiese war saftig grün. Bienen summten. Beim Eintreten merkte er: Ein würziger Duft nach Kräutern lag in der Luft. Staunend machte er noch ein paar Schritte in den Garten. So richtig konnte er das Ganze noch immer nicht fassen! – »Ein blühender Garten mitten im Winter hoch heroben am Berg«, sagte er sich verwundert, »wo gibt’s denn sowas?«

Inmitten der Pracht ragte ein Apfelbaum auf. Der war reich behängt mit saftigen Äpfeln. Die leuchteten golden. Staunend griff er nach einem der Äpfel.

»Nimm dir nur!«, hörte er da. »Greif zu! Es ist ja genug da.« Hinter ihm stand die Alte in der Tür. »Füll den Korb, der dort unterm Baum steht, nur an mit den Äpfeln« lachte sie.

Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Geschwind brockte er Apfel für Apfel. Mit dem vollen Korb ging er zurück zu der Alten. »Hör gut zu«, meinte sie, »goldene Äpfel sind schön und gut. Aber wenn deine Frau einen von den Äpfeln isst, dann wird sie auf der Stelle wieder gesund!«

Nach all dem, was er gerade erlebt hatte, spürte der Bauer, dass das nicht einfach so dahingesagt war. Aber so recht konnte er es doch nicht glauben. »Wenn das wirklich stimmt«, meinte er, »dann könntest du mir keine größere Freude machen. Ich danke dir.«

Ohne lange zu überlegen gab er der verhutzelten Alten auf ihre runzelige Stirn ein Bussl – einen Kuss.

Da verwandelte sich die hässliche Alte in eine strahlend schöne, anmutige Frau.

Verblüfft stammelte der Bauer: »Jetzt sag einmal: Bist du am Ende die Perchtmutter?«

»Ja, die bin ich«, lachte die Schöne. »Zuerst hast du mich gesehen wie ich sein kann. – Und jetzt siehst du mich so wie ich bin.«

Vor lauter Wundern und Staunen wusste der Bauer gar nicht, was er sagen sollte.

»Schau zu, dass du heimkommst«, meinte die Percht und segnete ihn.

Immer noch fassungslos machte sich der Bauer auf den Weg. Ein Stück weiter unten drehte er sich noch einmal um: Von der Hütte im Wald war nichts mehr zu sehen! – Die Äpfel im Korb aber, die waren noch da! Und das war die Hauptsache!

Zuhause am Hof lag die Frau noch in tiefer, fiebriger Ohnmacht. Erst gegen Morgen wachte sie auf. Bedächtig hielt er ihr einen Apfel hin. Sie biss hinein, aß noch einen Bissen und noch einen. Nach und nach kam wieder Leben in sie. Als sie aber den letzten Happen hinuntergeschluckt hatte, da stieg sie pumperlgesund aus dem Bett. Was für ein Glück!

Eine schönere Weihnacht hätten sich der Bauer, die Frau und die Kinder nicht wünschen können. Mit den goldenen Äpfeln der Perchtmutter kehrte am Hof der Wohlstand ein.

So haben sie noch lange und gut gelebt. Glücklich sind sie auch gewesen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie wohl heute noch.

Nachzulesen ist diese und viele weitere Erzählungen im Band »Das Geschenk der zwölf Monate – Märchen, Bräuche und Rezepte im Jahreskreis« von Heidemarie, Ursula und Helmut Wittmann, illustriert von Agnes Ofner, erschienen im Tyrolia Verlag, Innsbruck.

Das Geschenk der zwölf Monate


Über Helmut Wittmann:
Helmut Wittmann ist ein österreichischer Erzähler mit Schwerpunkt alpenländische Volks- und Zaubermärchen. Er beschäftigt sich außerdem mit den Überlieferungen von Erzählungen aus dem europäischen Osten und der orientalischen Sufi-Tradition. 2003 erhielt er den "Deutschen-Volkserzähler-Preis", 2008 den Autorenpreis der Lesetopia, der größten Lesemesse Österreichs. Auf seinen Antrag hin wurde das Märchenerzählen in Österreich von der UNESCO in das Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen.

www.maerchenerzaehler.at

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