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Wei­h­nacht­szeit ist Geschichten­zeit: Der heilige Niko­laus hat einen Wun­sch”

Wir begleiten Sie mit vier Geschichten vom österreichischen Märchenerzähler Helmut Wittmann durch die Vorweihnachtszeit und wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen!

Geschichte zum 2. Advent:

Der heilige Nikolaus hat einen Wunsch

Erzählt von Märchenerzähler Helmut Wittmann

Legenden gibt es viele vom heiligen Nikolaus. Oft überraschen sie mit augenzwinkernder Weisheit. Hier ist sie in einem deftigen Schwank verpackt.

Vor Zeiten kam der heilige Nikolaus mit seinem Esel gegen Abend in eine Stadt. Es war kalt. Der Wind trieb den Schnee übers Land. Natürlich hatte der heilige Mann nicht das bischöfliche Ornat an, sondern nur das Gewand eines einfachen Reisenden. Er war durchgefroren, müde, erschöpft, durchnässt und schmutzig von den Pfützen, die die Straße in eine Piste voller Schlamm verwandelt hatten.

Vor einem großen Haus blieb er stehen und klopfte ans Tor. Hier residierten offensichtlich reiche Leute.

Der Herr des Hauses war gerade im Begriff, ins Bett zu gehen. Er machte das Tor höchstpersönlich auf. »Was willst du denn zu nachtschlafender Zeit, alter Mann?«, fuhr er den heiligen Nikolaus an.

»Du hast recht: Es ist spät!«, meinte der Nikolaus. »Drum bitte ich dich um ein Quartier für diese Nacht.« – «Schau dich an, wie du aussiehst«, schimpfte der Hausherr, »für so viel Dreck ist in unserem Haus kein Platz! – Geh lieber zur Nachbarin. Die hat ein Herz für Leute wie dich. Da wirst du bestimmt unterkommen.«

Und schon war das Tor wieder zu. Der heilige Nikolaus hörte noch, wie der Schlüssel umgedreht und die Riegel vorgeschoben wurden. Na gut, oder eigentlich, na schlecht: Also zog er weiter zum nächsten Haus.

Das war auch ein großes Gebäude. Es wirkte allerdings heruntergekommen. Hier wohnte die Frau, von der der Reiche gesprochen hatte. Vor Jahren hatte sie mit ihrem Mann und den Kindern ein schönes Leben gehabt. In der ganzen Stadt waren sie bekannt für ihren Reichtum, aber auch für ihre Freigiebigkeit. Niemand klopfte umsonst an das Tor ihres Hauses. Sie lebten gut und gaben gerne.

Dann aber war der Mann gestorben. Von seinen Geschäften hatte die Frau wenig Ahnung – und doch musste sie jetzt alleine für sich und die Kinder sorgen. Nähen konnte sie – und wie! In der ganzen Stadt war bekannt, wie fingerfertig und geschickt sie die Nadel zu führen wusste. Damit brachte sie sich und die Kinder durchs Leben. Von Wohlstand war aber nicht mehr die Rede.

An diesem Abend klopfte also der heilige Nikolaus bei ihr ans Tor. Die Frau machte auf und sah einen erschöpften alten Mann, der vom Weg offenbar gehörig mitgenommen war.

»Komm herein, Großvater!«, sagte sie, »so patschwaschelnass wie du dastehst, holst du dir bei dem Wetter sonst noch den Tod!«

Für den Esel fand sich im Stall ein guter Platz. Der Nikolaus wurde in der Stube bewirtet. »Viel haben wir nicht«, meinte die Frau, »aber eine heiße Suppe und einen warmen Platz zum Übernachten beim Ofen gibt’s bei uns immer!«

Der Nikolaus ließ sich die Suppe schmecken. Dankbar brach er vom Brot ab, dass sie ihm hingestellt hatte. Langsam spürte er, wie ihm von innen heraus wieder warm wurde. Dann gab es viele Fragen: Wohin er denn wollte und was er denn mache? Der Nikolaus erzählte viel. Mit wem sie es wirklich zu tun hatte, das erfuhr die Frau allerdings nicht.

In der Früh stellte sie ihm noch einen heißen Tee hin. Dazu gab’s Brot, Butter und Honig.

»Ich danke dir!« sagte der heilige Nikolaus, als er sich wieder auf den Weg machte, »Für all das, was du für mich getan hast, möchte ich dir eine Kleinigkeit geben.« – »Nein, nein, nein!«, wies die Frau ihn zurück, »Das war doch eine Selbstverständlichkeit! – Wer würde denn einen Mann wie dich bei dem Wetter und der Kälte in der Nacht auf der Straße stehen lassen! Außerdem: Es war nicht viel, das ich dir geben konnte. Behalte also, was du hast. Du kannst es bestimmt selbst noch gut brauchen.« – »Keine Angst«, sagte der Nikolaus, »was ich dir gebe macht mich nicht ärmer, aber es verhilft dir mit deinen Kindern vielleicht zum Glück.«

Jetzt war die Frau neugierig. »Hör zu«, sagte der Nikolaus, »von mir bekommst du jetzt einen Wunsch. Der wird sich gewiss erfüllen. Das, was du morgen früh als erstes tust, das wirst du den lieben langen Tag machen!«

»Sonderbar«, dachte sich die Frau, »was soll das zu meinem Glück beitragen?«

Der heilige Nikolaus zog weiter. Die Frau aber hatte einiges zu tun. Ein reicher Kaufherr kam und brachte ihr einen kostbaren Stoff.

»Ich bitte Dich, näh mir daraus ein Festtagsgewand«, sagte er. »Das Garn dazu ist aus Gold. Je sorgfältiger du arbeitest, desto größer wird dein Lohn sein. Wenn du das Gewand auch noch fein bestickst, dann soll das, was an Garn übrigbleibt, dir gehören!«

Eine solche Arbeit war ganz und gar nach dem Geschmack der Frau. Hier konnte sie ihr Geschick so richtig zeigen – und guter Lohn winkte auch. Am Abend – als die Kinder schon schliefen – bereitete sie alles vor.

Am anderen Tag machte sie sich zeitig in der Früh, gleich nach dem Aufstehen, an die Arbeit. Die Kinder schliefen noch. Sie wusste, jetzt würde sie mit dem Nähen besonders gut vorankommen. Als erstes galt es, das goldene Garn von der Spindel abzumessen. Sie nahm also das Garn zur Hand und maß es ab. Sie maß und maß und maß. Eigenartig: Das Garn wollte gar kein Ende nehmen. Weiter ging’s: Sie maß und maß und maß. Die Spindel drehte sich – und es war immer noch Garn über Garn oben. Plötzlich fiel ihr ein, was der Alte am Vortag gesagt hatte: Das, was du in der Früh als erstes tust, wirst du den lieben langen Tag tun.

Und so war es auch: Sie maß den lieben langen Tag goldenes Garn ab. Gegen Abend war die ganze Kammer voll damit. Das kostbare Gewand nähte und bestickte sie aufs Feinste. So groß war die Freude über das viele Garn. Ja, so fein sie auch arbeitete und soviel sie auch nähte. Sie brauchte nur einen Bruchteil vom Garn. Der Rest blieb ihr und den Kindern. Damit hatte die Armut ein Ende. Sie waren wieder vermögende Leute und konnten ein Leben in Wohlstand führen.

Bald fiel das auch dem reichen Nachbarn auf. »Jetzt sag einmal, wie kommt ihr denn zu dem vielen Geld?«, fragte er sie unverblümt.

«Du wirst es nicht glauben, mein lieber Nachbar, aber das geschah auf eine ganz wundersame Weise«, sagte sie. Und sie erzählte von dem alten Mann, den sie über Nacht beherbergt hatte, und seinem Segenswunsch: Das, was du in der Früh als erstes tust, wirst du den lieben langen Tag tun! So war sie zu Bergen von goldenem Garn gekommen.

Jetzt ging dem reichen Nachbarn ein Licht auf: Das war offenbar der sonderbare Alte gewesen. Der, der bei ihm ans Tor geklopft hatte. »Und ich Depp hab ihn abgewiesen«, sagte er sich. »Was für eine Dummheit!«

Im gleichen Moment fiel ihm aber ein, wie er das wieder gutmachen könnte: »Liebe Nachbarin, da habe ich eine Bitte!«, sagte er. »Mir ist ein Fehler passiert, der mich zutiefst ärgert. Ich habe den Alten von der Tür gewiesen. Sollte er wieder zu dir kommen, dann schick ihn doch bitte zu mir. Ich möchte das, was da geschehen ist, wieder gut machen.« – »Gerne, lieber Nachbar!« lachte die Nachbarin, »da wird sich der Alte freuen!«

Die Zeit verging und übers Jahr stand der Nikolaus wirklich wieder bei der Frau vor dem Tor. »Ach, Großvater, wie freue ich mich, dass ich dich wiedersehe!«, sagte sie. »Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll. Durch dich sind das Glück und der Wohlstand zu uns zurückgekommen. Hab vielen Dank für das, was du für uns gemacht hast.«

Der heilige Nikolaus lachte nur und winkte ab.

»Zu gerne würde ich dich hereinbitten«, setzte die Frau fort, »aber mein Nachbar meint, er hätte bei dir etwas gut zu machen. Deshalb würde er sich sehr freuen, wenn du diesmal sein Gast bist.«

»Gerne, gerne, gerne!«, lachte der Nikolaus. Er wünschte der Frau noch ein gutes und langes Leben, segnete sie und zog hinüber zum Haus vom Nachbarn.

Als der das Tor aufmachte, wollte er den Bettler zuerst erbost verjagen. Er fragte sich: Warum kommen diese abgerissenen Gestalten immer ausgerechnet zu uns? – Im nächsten Moment aber erkannte er den Mann, der seiner Nachbarin offenbar den Wohlstand gebracht hatte. Da war alles gleich anders: »Was für eine Freude!«, rief der Nachbar. «Es tut mir furchtbar leid, dass du mich damals offenbar gerade auf dem falschen Fuß erwischt hast. Bitte lass mich das wieder gutmachen: Komm herein, mein lieber Freund, und sei unser Gast!«

Dieser Einladung folgte der heilige Nikolaus mit Freuden.

Jetzt wurde er aufs Beste bewirtet. Zuerst mussten ihm die Diener ein heißes Bad bereiten. Dann bekam er neue Gewänder. Schließlich saßen sie vor der reich gedeckten Tafel. Der Tisch bog sich unter all den Köstlichkeiten, die da in den Schüsseln dampften, auf den Platten dufteten und in den Gläsern leuchteten. Danach gab’s noch einen Schnaps für die Verdauung und eine gemeinsame Wasserpfeife zum Wohlsein. Es fehlte wahrlich an nichts. Für die Nacht wurde dem heiligen Nikolaus ein Himmelbett bereitet. Seidene Bettwäsche wartete auf seine müden Knochen.

In der Früh brachten ihn die Diener zum reich gedeckten Frühstückstisch. Der Kaufherr sorgte persönlich dafür, dass sein Gast keine der angebotenen Delikatessen ausließ.

»Ich hoffe, wir konnten euch diesmal das Ungemach von damals vergessen lassen«, meinte er schließlich.

»Ja«, sagte der heilige Nikolaus, »so gut wie bei euch, Herr, ist es mir wahrlich noch selten gegangen. Ich habe nicht viel, aber als Zeichen der Dankbarkeit möchte ich euch eure überreiche Gastfreundschaft mit einem Wunsch vergelten: Das, was ihr morgen in der Früh als erstes tun werdet, das werdet ihr morgen den lieben langen Tag tun!«

Der reiche Kaufherr begleitete seinen Gast noch bis zum Tor. Kaum, dass der heilige Nikolaus aus der Tür war, überlegte er schon: Was sollte er morgen früh als erstes tun?

Es muss etwas sein, das mir wirklich unermesslichen Reichtum beschert, sagte er sich. Lange überlegte er hin und her und schließlich war für ihn alles klar: Unter dem Haus waren große Kellergewölbe. Dort würde er Gold zählen und zwar große Golddukaten. So würde er am Abend einen riesigen Goldschatz haben. Das Schönste daran aber war: Kein Mensch würde etwas davon wissen!

Vor lauter Aufregung brachte der reiche Kaufherr die ganze Nacht über kaum ein Auge zu. In der Früh machte er sich gleich auf – hinunter in den Keller. Dort lagen schon ein paar große Golddukaten bereit. Auf der Kellerstiege durchzuckte ihn aber eine jähe Erkenntnis: Was wäre, wenn er beim Goldzählen plötzlich auf die Toilette müsste? In der Zeit, die er dort verbrachte, würde ihm doch glatt ein kleines Vermögen entgehen! Wie gut, dass er daran noch gedacht hatte.

Flink eilte er zum stillen Örtchen. Schnell draufgesetzt. Jetzt war Zeit Geld – und das im wahrsten und teuersten Sinn des Wortes. Schon verrichtete er das, was verrichtet werden musste. Gleich wollte er wieder aufspringen und hinunter in den Keller. Aber was war das? Die Notdurft hatte kein Ende. Er musste noch einmal und noch einmal und noch einmal ...

Schließlich verbrachte er den lieben langen Tag am stillen Örtchen. Der Kaufherr kochte vor Wut, aber was blieb ihm anderes übrig.

Am Abend war der Jammer endlich zu Ende. Er hatte ausgesch... . Nein, das schreiben wir nicht. Denn alle wissen, worum es geht.

Nichts war es mit dem Reichtum im Keller. Wie konnte man sich nur so dumm anstellen? Er haderte mit der Welt und ärgerte sich doch am meisten über sich selbst.

Die Nachbarin aber hatte mit dem Segen des Nikolaus ein Leben in Wohlstand. Lange und gut lebte sie noch mit ihren Kindern. Glücklich sind sie auch gewesen – und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie wohl heute noch.

Nachzulesen ist diese und viele weitere Erzählungen im Band »Das Geschenk der zwölf Monate – Märchen, Bräuche und Rezepte im Jahreskreis« von Heidemarie, Ursula und Helmut Wittmann, illustriert von Agnes Ofner, erschienen im Tyrolia Verlag, Innsbruck.

Das Geschenk der zwölf Monate



Über Helmut Wittmann:
Helmut Wittmann ist ein österreichischer Erzähler mit Schwerpunkt alpenländische Volks- und Zaubermärchen. Er beschäftigt sich außerdem mit den Überlieferungen von Erzählungen aus dem europäischen Osten und der orientalischen Sufi-Tradition. 2003 erhielt er den "Deutschen-Volkserzähler-Preis", 2008 den Autorenpreis der Lesetopia, der größten Lesemesse Österreichs. Auf seinen Antrag hin wurde das Märchenerzählen in Österreich von der UNESCO in das Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen.

www.maerchenerzaehler.at

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